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Channel: Jogi-wan - Blog für Pfeife und Tabak
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Pfeifen erobern soziale Netzwerke!

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Die Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population wird als Evolution beschrieben. Mutationen führen dabei zu erblich bedingten Unterschieden und die natürliche Selektion entwickelt eine Spezies weiter. Charles Darwin hat diese Theorie in der Mitte des 18. Jahrhunderts erstmalig beschrieben. Ob er dabei genussvoll Pfeife rauchte, ist zu bezweifeln, zweifelsfrei ist allerdings das damalige Fehlen gigantischer Onlinedienste und deren bemerkenswerten Einfluss auf die Evolution der qualmenden Denker.


Ich meine, die Spezies der Pfeifenraucher ließe sich grundsätzlich in zwei Arten ordnen. Die große wächst aus der Gruppe der Suchtraucher, die kleinere entsteht aus dem gemeinen Nichtraucher. Letztere ist ganz bestimmt etwas leidenschaftlicher bei der Auswahl des passenden Rauchgerätes und wesentlich investitionsfreudiger bei dem Einkauf der bevorzugten Tabakwaren. Geld spielt dabei wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle, denn die Rauchware bestimmt hier sicherlich viel seltener den gesamten Tagesablauf oder sogar einzigen Lebensinhalt. Dieser Art könnte tatsächlich bewusst sein, dass ein temporäres Fehlen der Mittel den Genuss nur verstärken würde. Der Verzicht ist für sie dadurch möglicherweise viel aushaltbarer.

Das insgesamt vermehrte Aufkommen von Pfeifenrauchern könnte auch die Folge des Rauchverbots in Räumen des öffentlichen Lebens darstellen. Diese Einschätzung ist logisch, wenn man berücksichtigt, dass ein Pfeifenraucher in der übrigen Gesellschaft vielmehr Akzeptanz gegenüber dem Zigarettenraucher erlebt. Vor diesem Hintergrund finden sicherlich viele Suchtraucher den Weg zur Pfeife und beschreiben die andere bedauerliche Art der Gattung. Wie beim gewohnten Einkauf von billigem Zigarettenfeinschnitt wird von Ihr auch bei der Auswahl des Pfeifentabaks vordergründig auf jeden Cent geachtet. Der letzte Schrott wird plötzlich verdammt preiswert und nur der Blender schlechter Tabakprodukte freut sich über deren Absatz. Kommunikation beginnt ein Exemplar dieser Art häufiger mit der Frage, wie viele Pfeifen der gefundene Gesprächspartner am Tag verdampft. Ist dem scheinbaren Neuling in der Pfeifenwelt dann aufgefallen, dass eine Pfeife nach dem Gebrauch etwas Ruhe benötigt, wird insgeheim der eigene Bedarf von Rauchgeräten kalkuliert. Es überrascht nicht, dass der arme Suchtraucher jetzt die Vorzüge billiger Birnenholzpfeifen aus der Bucht herausstellt und verantwortlich für ihre Daseinsberechtigung wird.
Beide Gruppen haben aber gemeinsam, dass sie eine Plattform für den gemeinsamen Austausch mit Gleichgesinnten suchen. Vor der Haustür ist das jedoch unfassbar schwierig geworden und der Computer, dass Tablet oder Smartphone doch eh 24 Stunden am Tag lang an. Außerdem ist auch ein syntaktisch und orthografisch nicht immer einwandfreies „Danke für die Aufnahme in der Gruppe!“ doch ebenfalls schnell eingetippt. Kurz darauf beginnen hier meistens ermüdende Diskussionen über immer gleiche Themen oder überflüssige Fotoaufnahmen, wie das eigene Konterfei bei strahlendem Lächeln mit dem zugehörigen Gebiss die Mundstücke fragwürdiger Pfeifen langsam zerstört – vorausgesetzt, es ist an entsprechender Stelle noch vollständig erhalten. Andere präsentieren sich auf ihrem Bildmaterial stets ungekämmt und freuen sich scheinbar ebenso über das im realen Leben stets vermisste „echte“ Gruppengefühl. Dabei ist das Fehlen eines strukturierten Haarschnittes ganz sicher nicht das Resultat akademischer Zerstreutheit. Um Die eigene Individualität noch weiter zu betonen, wird im Extremfall noch ein Video als Medium zur Selbstdarstellung aufgenommen. Hier variiert die Professionalität mit der Fähigkeit das Smartphone zu bedienen und horizontal von vertikal unterscheiden zu können. Furchtbare Inneneinrichtungen, Übergewicht im Trainingsanzug und missweisende Körperkultur bilden nicht selten das adäquate Pendant zu den präsentierten Rauchwaren. Inhaltlich wächst der Großteil der bewegten Bilder nicht über den Vierzeiler der Textbeschreibung auf der Rückseite entsprechender Tabakdosen hinaus.
Jetzt wäre es ein Leichtes, weitere Vielzahlen dämlicher Verfehlungen bildungsschwacher Protagonisten erschöpfend zusammen zu fassen. Außerdem fehlt sicherlich auch die Erwähnung profilneurotischer Besserverdiener, welche ihrem Proletariat die Sammlung teurer Pfeifen mit weißen Punkten auf den Mundstücken nicht vorenthalten können. Manch Einer fühlt sich dadurch vielleicht ein wenig besser und versucht die im realen Leben gelebte soziale Inkompetenz in das elektronische Medium zu transportieren. Zeugnisse dieser paradoxen Redundanzen finden sich in den Dunstkreisen sozialer Netzwerke mehr denn je.
Doch das Alles wäre vollkommen egal, wenn man bei allen Trotteln doch nur ein einziges Indiz für die „große Leidenschaft“ wiederfinden könnte. - Aber vielleicht findet sich genau hier die Evolution des modernen Pfeifenrauchers. Mit dem Vermögen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen, gelingt das Differenzieren von Gesellschaft und Gemeinschaft. Die Halbwertszeit des „Pipe“-Hypes und aller dessen hervorgebrachten, gespaltenen Persönlichkeiten scheint endlich erreicht worden zu sein. Die meisten Mutationen werden nicht überdauern und die natürliche Selektion wird die still gewordenen Beobachter und Denker zurückführen. Gelassenheit ist das vererbte Merkmal des toleranten Pfeifenrauchers und damit müssen wir nur noch ein kleines Bisschen aushalten. – Hoffentlich.
Guten Rauch!

Gastautor: Christian Meesters

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